Chorus 74 oder Mainstream war gestern

Als wir vor Kurzem die neue Eton-Preisliste erhielten, gab es eine kleine Überraschung dazu. Nein, man schenkte uns keinen ausgedienten Osterhasen aus Schokolade, die Freude, die man uns bereitete, war von der anderen Art. Ohne jede Vorankündigung hatten sich ein paar neue Chassis in das Programm geschlichen, die eindeutig der Orchestra-Reihe zuzuordnen waren, aber stolz einen Phase Plug mitten in der Membran trugen. Naja, ganz so unerwartet war zum Mindesten der Nippel nicht, alle anderen Serien neuerer Zeit haben ihn auch. Und wenn schon das Korb-Magnet-Geflecht vorhanden ist, kann auch Pappe mit Stanzungen statt Hexcone hinein. Datenblätter gab es noch nicht, auf Anfrage hieß es jedoch, dass die Chassis bereits lieferbar sind. Nun, messen können wir selbst, also orderten wir umgehend eine kleine Menge der 7-512/ C8/ 32 RP, aus denen unser nächster Chorus-Bauvorschlag entstand. Verraten können wir hier schon seinen Nachnamen, der 74 lautet.

Leicht wäre es, der herausragenden Nase Eigenschaften wie „erfunden zur besseren Wärmeabfuhr“ nachzusagen. Selbstverständlich ist das durchaus richtig, denn das Stück Aluminium auf dem Polkern vergrößert die kühlende Oberfläche für die erhitzte Schwingspule. Dennoch wagen wir auch ohne explizierte Nachprüfung die Aussage, dass die Chassis mit Dustcap nicht schneller durchbrennen. So nutzt der Phase Plug in der Hauptsache der Optik, die fraglos auch bedient werden darf, wenn alle technischen Aspekte zur Genüge berücksichtigt wurden. Und genau darauf können wir uns bei Eton jederzeit verlassen.

Traditionsgemäß beginnen wir mit den Messdaten des

7-512/ C8/ 32 RP

Ausstattung:

 

Membran: Pappe Polplattendicke 8 mm
Sicke Gummi Wickelhöhe 19 mm
Korb Druckguss Magnetdurchmesser 102 mm
Polkernbohrung ja Befestigungsbohrungen 6 mm
Zentrierung Flachspinne Außendurchmesser 181 mm
Magnet Ferritmagnet Einbaudurchmesser 152 mm
Schwingspule 32 mm Einbautiefe 87 mm
Träger Kapton Frästiefe 7 mm

Parameter:

 

Fs 39 Hz Mms 14,8 Gramm
Diameter 130 mm BL 7,3 Tm
ZMax 93 Ohm VAS 19,6 Liter
Re 6,5 Ohm dBSPL 87 dB/2,83V
Rms 0,62 kg/s L1kHz 0,55 mH
Qms 5,97 L10kHz 0,30 mH
Qes 0,45 SD 80 cm²
Qts 0,42 MMD 14,1 Gramm
Cms 1,1 mm/N Zmin 7,8 Ohm

Messungen:


Die mittlerweile verfügbaren Daten von Eton sind nahezu deckungsgleich mit meinen Ergebnissen, nur die elektrische und Gesamtgüte unterscheiden sich. Das kam mir durchaus gelegen, denn mit den Werten aus Neu-Ulm wär schon wieder eine „normale“ Reflexkiste entstanden, die ich aus strategischen Gründen einfach mal eckig aufgebaut hätte. Beim Eckig bleibt es trotzdem, aber bei einem Qts von 0,42 dachte ich sofort über eine Luftsäule nach, die man gemeinhin Transmissionline nennt. Um es mir nicht zu einfach zu machen, plante ich mit vier Bässen, die zusammen das Bassfundament erzeugen dürfen, die beiden oberen umrahmen dabei den Hochtöner. In mein TL-Tool gab ich die erforderlichen Daten ein und erhielt die nette Aufgabe, knapp 2,2 m Laufweg bei 22 cm Innenbreite und 18 cm Kanaltiefe leicht nachbaubar und vor allem Wohnzimmer tauglich in Sketchup zu konstruieren. Heraus kam eine Box mit 120 cm Höhe, gut 26 cm Breite und 42 cm Tiefe aus 22 mm MDF.

Mit den Schallwand-Daten fütterten wir unsere CNC-Fräse, die enorme Breite der Front kaschierten wir einer Schattenfuge, die wir seitlich und oben gleich einprogrammierten.


Der Aufbau ging schnell über die Bühne, reine Routinearbeit. Das Nachdenken begann mit dem Chassiseinbau, denn alle Bässe parallel bedeutet 2 Ohm Impedanz, für die meisten Verstärker ein Graus. Also wurden die Chassis paarweise hintereinander und die Paare parallel geschaltet, dafür danken sogar alte Röhren, denen eine Gesamtlast von 8 Ohm sehr angenehm ist. In den hinteren Kanal stopften wir eine 40 x 160 cm große Matte Polsterwatte, die wir an beiden Enden etwas einrollten. Vorn nahmen wir die gleiche Menge, deckten sie aber mit einem weiteren, 20 cm breiten Streifen ab. Bilder gibt es davon auch, die passen aber erst später als Leseunterbrechung. Hier ist erst einmal die Weichenentwicklung angesagt, bei der wir nicht lang über die Topologie nachdenken mussten.

Wenn sich mehrere Bässe eine Front teilen, befinden sie sich notgedrungen in unterschiedlicher Entfernung zum Zuhörer. Das ergibt ausgeprägte Einbrüche im Mittelton, wo sich der Schall wegen der zeitlich verschobenen Phase nicht addiert (rot). Deshalb werden die unteren Chassis mittels großer Spule vorzeitig aus dem Verkehr gezogen (blau). Es entsteht dadurch eine sogenannte Zweieinhalbwegebox.

Nun haben wir eine brauchbare Ausgangslage für die Trennung zum Hochtöner, die aus einer Spule und einem parallelen Saugkreis auf die Resonanz bei 3,1 kHz besteht. Der 25 SD 4 braucht ein Filter 2. Ordnung aus Kondensator und Spule, den Pegel reduziert ein Widerstand. Selbstverständlich haben wir auch eine Impedanzkorrektur für Röhrenfreunde ermessen.

 

Messungen:

Nach der Weichenerstellung haben wir die MDF-Platten ein wenig geschliffen und mit zwei Schichten PU-Lack in augenfreundlichem Orange eingesprüht. Mehr Aufwand hätte nicht geschadet, aber die Lautsprecher müssen nicht in unser Wohnzimmer. Und der letzendliche Aufbau lässt sich auch an mangelhaft lackiertem Holzwerkstoff erklären. Zum Dämmstoff wurde bereits oben alles gesagt, hier passen die Bilder.

Als erstes musste eine Kabeldurchführung für die Verbindung zwischen Terminal und Weiche in das hintere TL-Brett gebohrt werden. Dafür braucht man einen recht langen Bohrer oder einen geraden Schrauber. Alternativ schiebt man den Akkubohrer in die Box und kann nun das Loch bohren. Die Weiche klebt hinter dem unteren Bass und kann im Bedarfsfall leicht erreicht werden. Hier zeigt sich auch die Überlegenheit des Aufbaus auf einem Holzbrett mit oben sichtbaren Lötpunkten. So ist die Kontrolle alle Verbindungen ohne Ausbau möglich. Die Impedanzkorrektur haben wir auf die neue Biwiringdose T 110 geklebt, wo sie durch Herausnehmen einer Brücke ohne jeden Aufwand abgeschaltet werden kann. Wer nicht in das große TL-Loch gucken will, kann sich einen Abdeckrahmen basteln. Die Anleitung steht im Bericht zur U_Do 12.

Umzug in den Hörraum, der Experience KT 88 wartete bereits mit warmen Röhren auf die Transmissionlines, die in unserer Bluesklasse bisher fehlten. Naja, weil die Länge des Laufwegs von der Resonanzfrequenz des Basses bestimmt wird, baut solch ein Ding immer recht hoch. Reflexboxen mit 7-Zöllern begnügen sich mit 15 bis 25 Litern pro Bass, doch setzt man vier davon ein, sind die Abmessungen nicht mehr so weit von der Luftsäule entfernt und eigentlich wollte ich so etwas schon lange bauen.

Die erste Frage beim Testhören ist immer, was will ich auflegen. Nun, was ist die Stärke der TL? Tiefer Bass, der für die Bluesklasse differenziert und dynamisch ohne Tadel sein muss. Da hätten wir doch mal Franz Liszt: Prelude und Fuge über den Namen BACH. Tief, differenziert und dynamisch, auch wenn der schwellende Orgelton uns nicht in das wohlbekannte Polster drückte. Dafür ließen wir uns von Charly Antolini den „Knock out“ verpassen – mit der schwarzen Scheibe selbstverständlich. Die kennt keine Kompression und das dankte die Chorus 74. Vier Pappen auf 1,2 m verteilt bewegen gern Luft, hier war es sogar ausdrücklich verlangt.

Ein weiteres Merkmal der Chorus 74 ist die Anordnung der Mitteltöner nach D’Appolito-Manier, der man eine verbesserte, räumliche Abbildung nachsagt. Ganz weit vorn liegt in dieser Disziplin „Belafonte at Carnegie-Hall“, aufgenommen 1959 auf „Living Stereo“. Als er mit seinem Auditorium „Mathilda“ singt, stehen wir mit geschlossenen Augen neben dem Sänger auf der Bühne und schauen hinunter in den großen Konzertsaal. Nachdem Bob, der Dirigent, sein Gesicht nach einem heftigen Anpfiff des Künstlers dem Publikum zuwendet, vernehmen wir alle Obertöne, die vorher in sein Orchester hinein gesungen hatte. Selbst das Schweigen der „Women over fourty“ ist in seiner ganzen, räumlichen Tiefe wahrnehmbar. Wunderbar, dass es solche Musik gibt, die wir jederzeit mit unseren Lautsprechern genießen dürfen.

Udo Wohlgemuth

Nicht mehr lieferbar

 

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17 Comments
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Gestern war mal eine kurze Probelauschung im Kreis der Familie für die neuen Chöre fällig! Als erstes mal vorweg, die Farbe, die Udo zur „Verschönerung“ genommen hat ist …. sagen wir mal ….. ähhhmmmmm….. auffällig! 😉
Nächstes Mal bitte Förstergrün oder Verkehrsgelb!

Spass beiseite. Souveräne Leistung, die Udo da mit den Eton Einsteigerprodukten liefert. Auflösungstechnisch ist die Chorus 74 (genauso wie die 51) mindestens so gut wie die SB Reihen, Bühne schön präzise, Bass mit Punsch und Kontrolle. Die gehörten Musikstücke aus meinem Geschmacksbereich (Solstafir „Isafold“, Anna von Hauswolff „Discovery“, Daft Punk „Recognizer“, Elizabeth Karsten „Pardon, Goddess Of The Night“) Machten mir richtig Spass und Lust auf mehr, was die Zeit mal wieder nicht hergab. Diese Eton „Einsteiger“ sind jeden Cent wert und ordnen sich brav irgendwo zwischen SB NRX und Eton Symphony ein. Da ist deffinitiv mal wieder der Geschmack entscheidend, und ich freu mich, auf all das, was da aus diesem Stall noch so kommen mag..

Gruß
Andre

Guten Abend,

wieso, Terracotta war doch einmal eine mediterrane Trendfarbe.
Mode wiederholt sich, Udo will nur vorbereitet sein 😀

Bei der kleinen Session war ich auch dabei, mit den genannten Stücken und davor.
Das Prädikat „Zwischen SB und Eton“ kann ich bestätigen – Diese Eton-Chassis sind nicht so analytisch wie ihre großen Hexacone-Schwestern (dafür aber etwas verzeihlicher), aber auch nicht solche grundtonwarmen „Schönspieler“ wie SB – die goldene Mitte sozusagen für all jene, denen SB zu dick und die anderen Eton-Serien zu analytisch sind.

Ja und wie isse jetzt, die TML?
Also, wenn die Aufnahme es her gibt, sehr räumlich.
Unten rum „bollert“ sie nicht rum, was man hin und wieder bei TMLs bemängeln könnte. Mitten sind sehr schön und der Hochton löst gut auf. Mir persönlich fehlt nach unten etwas der Keller, es dominiert eher der Oberbass. Diese Aussage kommt allerdings von Jemandem mit 4 11er Bässen im Wohnzimmer, ist also auch nicht ganz wertfrei bzw. ein unfairer Vergleich. Für mich fehlte halt bei „Bombast-Musik“ das letzte bisschen Kawupptizität, aber auch Udo kann die Gesetzte der Physik nicht wegzaubern 😉 Ansonsten macht sie ne sehr gute Figur. Ich bin gespannt, was in dieser Serie noch alles kommt.

Gruß,
-Sparky

Uiiui. Die Teile locken glaub‘ auch mich nach Bochum.
Volltreffer mittschiffs. Danke Udo!
Gruß Martin

Nabend,

also doch ne TML.
Das riecht nach Tiefgang und mächtig Druck im Oberbass. Bin gespannt.

Gruß schuelzken

Guten Abend Udo,

wärm schon mal das Sofa und den Verstärker vor,
wir satteln die Pferde 🙂

Gruß,
-Sparky

So ist das… Ich lege schon mal das Kettenhemd an….

Da bin ich mal gespannt, was ihr zu berichten habt.
Als ich das letzte Mal bei Udo war, konnte ich leider nur das unbestückte Gehäuse der 74 bewundern.

Da bin ich auch neugierig! 😀
Mich würde interessieren, ob man die Lauflinie auch unten Rum und dann oben hinten raus umfallen kann… Das wäre Mal ne coole Front dann ohne Loch…

Moin André.
Oder Öffnung nach oben ala FT 2?
Gruß Martin

Ach da schau her 🙂
das lässt ja auf einige neue Bausätze hoffen, ne 5x Reihe und eine 7x Reihe der Chorus… 8 Zoll, 11 Zoll und 12 Zoll sind auch noch bei Eton versprochen, es bleibt spannend 🙂
und gar nicht mal so doof, dass diese Version aus der typischen Bauart ausbricht und etwas Abwechslung für die unterschiedlichen Geschmäcker bringt.
Bin vorfreudig was die denn wohl so bieten mögen

Liebe Grüße & genießt die Sonne

Matthias

Moin Udo,
Weisst ja was ich von den kleinen Pappen halte 😉 sehr beruhigend…

Liebe Grüße
Matthias

Servus Udo. Im Bericht schreibst du das du die LS in Serie hängst. Kann ich die auch einfach parallel schalten. Ich weiss werden dann 2 ohmer. Meine alte uher Endstufe verträgt das problemlos. Müsste ich da was bei den weichen aendern.? Oder passen die Parameter auch? Danke im voraus. LG Hubert

Ich übersetze mal kurz:
Nee, kann man nicht, bau so wie sie sind 😉

Liebe Grüße
Matthias

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