Transmissionlines

Wir befinden uns im Jahr 2000 n. Chr.. Die gesamte Welt der Lautsprecherkonstruktion wird beherrscht von Legionen von Simulationsprogrammen, die es ermöglichen, den Verlauf von Schalldruck und Phasenlage für jeden Raum und jede Aufstellungsvariante bis aufs dB genau vorherzusagen, ohne dass wir genötigt sind, zu Holz und Kleber zu greifen, um ein Probegehäuse zu bauen… Die gesamte Welt? Oh, nein!!

Umgeben von Heerscharen berechenbarer Bassreflexboxen gibt es noch immer ein kleines Häuflein unerschütterlicher Hörner, tapferer Transmissionlines und offener Schallwände, die sich bisher noch jedem Versuch, sie in ein rundum zufriedenstellendes elektro-akustisches Modell zu zwängen, erfolgreich widersetzen konnten. Diesen seltenen Exemplaren widmet K&T in dieser und den nachfolgenden Ausgaben die Aufmerksamkeit, die sie sich auf Grund ihrer nahezu unerschöpflichen, die Bastellust des Entwickler ständig herausfordernden Möglichkeiten verdient haben. Wer anders als unsere allseits beliebte Rubrik “Cheap trick” könnte für die Präsentation außergewöhnlicher Bauvorschläge der anderen Art geeignet sein!

Um es vorweg zu sagen: ich habe natürlich nichts gegen Simulationsprogramme, erleichtern sie doch die Rechenarbeit des Lautsprecher-Entwicklers in vorher nicht gekannter Weise. Nach Eingabe der (möglichst gemessenen) Parameter erlauben sie mir eine ungefähre Vorstellung des zu erwartenden Ergebnisses meiner Arbeit; wenn jedoch in einer Zuschrift Zweifel an der Richtigkeit unserer Messungen eines Subwoofers geäußert werden, weil alle 4 (vier) zur Verfügung stehenden Sim.-prog`s andere Frequenzgänge errechneten, rate ich dazu, sich damit abzufinden, dass Sim.-prog`s die Wirklichkeit nicht abbilden, sondern – getreu ihres Namens – uns nur glauben machen wollen, es sei so, wie sie sagen. Zu ihrem Leidwesen und zu unserem Glück ist die Realität wesentlich komplexer und daher nicht mit einer kleinen Anzahl an Parametern erklärbar – im anderen Fall gäbe es für den Lautsprecherbauer nur noch die Möglichkeit, einen richtigen Beruf zu erlernen, und für den Hobbyisten notgedrungen ein anderes Hobby…

Das offene Rohr

Trenne ich die Membranvorder- und -rückseite durch ein nach hinten offenes Rohr, verschiebt sich der akustische Kurzschluss in Abhängigkeit von der Rohrlänge zu tieferen Frequenzen, da der Schall zum Druckausgleich einen längeren Weg zurücklegen muss. Wird der Lautsprecher in einer Frequenz in Bewegung gesetzt, schwingt er zuerst nach vorn und schiebt die umgebende Luft vor sich her, gleichzeitig saugt er auf seiner Rückseite Luft an. Diese Saugwirkung kommt zeitverzögert am Rohrende an. Der Lautsprecher hat seine größte Auslenkung nach einem Viertel der zur Durchführung einer ganzen Schwingung notwendigen Zeit erreicht. Nun befindet er sich für die Hälfte der Zeit in einer Rückwärtsbewegung. Idealerweise sollte diese zeitgleich mit der Ankunft der Saugwirkung am Rohrende zusammenfallen. Das ist dann der Fall, wenn die Rohrlänge genau einem Viertel der Wellenlänge der anregenden Frequenz entspricht. Ein zusätzlich nutzbarer Effekt: bei maximaler Auslenkung der Membran bremst eine entgegenwirkende Druckwelle die Bewegung, da sich die Luft vor dem Lautsprecher und am Rohrausgang in gleicher, hinter der Membran jedoch in entgegengesetzter Bewegung befindet.

Die niedrigste Frequenz, bei der ein Lautsprecher (herkömmlich angeregt) Schall erzeugen kann, ist seine Eigenresonanz, markiert durch eine deutliche Erhöhung der Impedanz. Bei dieser Frequenz wird der Lautsprecher mit kleiner Energiezufuhr in heftige Bewegung versetzt, d. h. seine Belastbarkeit ist gering und bedarf einer möglichst großen Bedämpfung. Wie oben beschrieben wählen wir als Länge des Rohres hinter dem Lautsprecher ein Viertel der Wellenlänge der Lautsprecherresonanz. Wir errechnen die Rohrlänge nach der Formel:

L = c / (4 x f) in Meter
mit c = Schallgeschwindigkeit in Luft ( ca. 340 m/sec )
und f = angestrebte Resonanzfrequenz.

Um eine Vorstellung von den Dimensionen einer Laufleitung zu bekommen, berechnen wir sie doch spaßeshalber einmal für eine Resonanz von 34 Hertz (Hz):

L = 340 / (4 x 34) = 340 / 136 = 2,50 m

Noch keine Aussage habe ich bis jetzt über den Durchmesser des offenen Rohres gemacht. Aus der Annahme, dass der Schall im Rohr den gleichen Weg mit gleicher Amplitude wie außerhalb zurücklegen soll, muss sein Querschnitt über die gesamte Länge dem Membrandurchmesser entsprechen. In der (leider nur sehr begrenzt) zur Verfügung stehenden Literatur findet man auch Empfehlungen, eine sich vom 1,25- bis 2-fachen auf das 0,9- bis 0,7-fache des Membrandurchmessers verjüngende “Line” zu verwenden. Eine weitere gebräuchliche Bauweise sieht eine nach den Formeln für geschlossene Gehäuse berechnete Vorkammer mit anschließender Line im Vorteil, eine Bauform, die sehr stark an ein Bassreflexgehäuse mit sehr langem Reflexkanal erinnert. Dem experimentierfreudigen Hobby-Entwickler lassen all diese verschiedenen Ansätze viel Raum für eigene praktische Erfahrungen. Eng verbunden mit dieser Boxenart ist der Begriff des “try and error”, geht doch sogar ihr heute gebräuchliche Name “Transmissionline” auf einen Irrtum des Entwicklers A. R. Bailey zurück, der in seinem ersten Ansatz eine den rückwärtig abgestrahlten Schall vermindernde Laufleitung zu erfinden hoffte.

Da sich kaum jemand freiwillig zwei 2,5-m-Tunnel in die Wohnung legen kann, ist es sinnvoll, den Kanal sooft zu knicken, bis er eine zwar immer noch große, aber jetzt handlichere Bauweise erlaubt. Allerdings entstehen an den Abknicken Reflexionen in die Line zurück, die sich als kleine, engbandige Impedanzspitzen zeigen. Auch sei nicht unerwähnt, dass die ideale Bedämpfung der Lautsprecherresonanz bei deren geradzahligen Vielfachen gegenteilige Wirkung hat, was zu einer Welligkeit sowohl des Frequenz- wie des Impedanzverlaufs führt. Des weiteren ist kein Lautsprecher so freundlich, sich bei der Wiedergabe mit seiner Rückseite auf tiefe Töne zu beschränken, er lädt das Rohr ebenso mit Frequenzen bis weit in den Mitteltonbereich hinein.

Die Bedämpfung der Transmissionline

Auch wenn Bailey bei der Konstruktion irrte, verdanken wir ihm die Erkenntnis, dass geeignete Dämmstoffe sowohl unerwünschte Resonanzen und Reflexionen als auch das Vordringen von Mittelton bis zum Rohrende wirkungsvoll unterdrücken, selbst die Welligkeit des Impedanzverlaufs lässt sich so glätten ohne den Frequenzgang negativ zu beeinflussen. Ganz im Gegenteil ergibt sich durch Ablenkung der Luftmoleküle durch das Dämmmaterial scheinbar eine langsamere Fließgeschwindigkeit der Luft im Kanal, was zu einer Reduzierung der Lauflänge von 15 bis 20 % führt. Das bedeutet, dass wir die Längenformel mit einem Korrekturglied versehen können:

L = c x 0,8 / (4 x f)

Somit kann die Laufleitung bei unserem 34-Hz-Beispiel auf 2,00 m reduziert werden, also kleinere Boxen, wodurch unsere Lebensabschnittsgefährtin wieder ein Stück freundlicher dreinschauen dürfte.

An welchen Stellen wieviel Dämmstoff eingebracht werden muss, kann man durch Messungen oder durch Hörproben ermitteln. (Spätestens an dieser Stelle setzen uns immer wieder die Kritiker zu, die der Meinung sind, dass TML´s eh nicht gehen, da sie nicht berechenbar sind, und weil unsere Abhörmethode völlig unwissenschaftlich ist. Diesen Experten sei gesagt, dass man nur ablehnen sollte, womit man sich ausführlich beschäftigt und was sich im Experiment als nicht haltbar erwiesen hat.)

Nach meinen Erfahrungen erzielt man mit einer gleichmäßig lockeren Bedämpfung der gesamten Line bis zum letzten Abknick mit Polyesterwatte die besten Ergebnisse. Die in vielen älteren Veröffentlichungen empfohlene Schafswolle neigt dazu, sich im Laufe der Zeit am Boden zu verfestigen und die Knickstellen zu verstopfen, wodurch eine Line-Wirkung schlimmstenfalls nicht mehr vorhanden ist, andererseits bietet sie biologisch Interessierten hervorragende Forschungsmöglichkeiten zum Brutverhalten der gewöhnlichen Kleidermotte.

Wichtiger als die Anzahl der Knickstellen ist die Platzierung des TML-Kanalendes, denn auch hierüber lässt sich einiges an Veränderung im Bassverhalten erzielen. In Bodennähe wird ebenso wie bei wandnaher Aufstellung der Bass verstärkt, während sich ein Auslass oben an der Box dazu eignet, den Bass abzuschwächen. Endet der Kanal auf der Rückseite, kann es zu Aufstellungsproblemen in kleineren Räumen kommen, eine zu große Entfernung der Öffnung vom Basslautsprecher führt zu Interferenzen und damit zu einer ungleichmäßigen Basswiedergabe an verschiedenen Punkten im Raum.

Im Laufe der langjährigen Zusammenarbeit mit Heinz Schmitt, damals Chefredakteur der K+T, habe ich einige neue Erkenntnisse in Bezug auf die ideale Positionierung der Basschassis in der Line gewonnen. So hat seit dem CT 188dem Vorgänger der FT 2 TL, eine Vielzahl von TML-Boxen die Lautsprecherwelt bereichert, deren Bässe auf einem Drittel der Lauflänge eingebaut wurden. Bei zwei Bässen pro Box befand sich der zweite auf einem Funftel der Linelänge. So konnte die Welligkeit bei der Wiedergabe tiefer Frequenzen fast völlig beseitigt werden. Seither wurden Transmission-Lines auch wieder zum begehrten Bastelobjekt experimentierfreudiger Hobby-Entwickler und sogar im Heimkino hat sie sich etabliert.

Welcher Lautsprecher eignet sich?

Prinzipiell gelten die vorgestellten Überlegungen für jeden Lautsprecher, doch halte ich Lautsprecher mit einem Qts zwischen 0,4 und 0,6 mit möglichst tiefer Eigenresonanz für ideal, da sie auf Grund ihrer Parameter eine genügend laute und konturierte Bassabstrahlung erlauben. Ein höherer Qts führt zu einer verschlechterten Impulsantwort, weshalb ich hierfür eher eine andere Boxenart empfehle. Liegt der Qts niedrig, hat der Lautsprecher auch eine verhältnismäßig hohe Resonanz und sein Schalldruck fällt zu tiefen Frequenzen zu stark ab. Doch auch hier gilt der Satz: Gib keine Erfahrungen weiter, die du nicht selbst gemacht hast oder mit trefflichen Argumenten begründen kannst, denn:

Wir befinden uns im Jahre 2000 n. Chr….

Klangliche Vorteile

Lautsprecherboxen nach dem vorgestellten Prinzip zu bauen, will ich niemandem empfehlen, dem es ausschließlich darum geht, Bass mit “Buffffff” und “Dröhhhn” zu hören. Die Stärken dieser Bauart liegen in den leisen Zwischentönen, Gehäuseresonanzen werden fast völlig unterdrückt, der Impedanzverlauf ist relativ glatt, wodurch eine TML auch als Spielpartner für Röhrenverstärker interessant ist, bis hinunter zur Resonanzfrequenz des Lautsprechers ist der Schalldruck gleichmäßig groß. Da im Gehäuse keine Hohlraumresonanzen entstehen, wird durch die relativ dünne Membran auch kein sich zum Musiksignal addierender Reflexionsschall aus dem Inneren entlassen, daher spielt eine Transmissionline nahezu verfärbungsfrei bis in den mittleren Bassbereich (darüber ist die Schallabstrahlung durch die Membran verantwortlich). Das heißt natürlich nicht, eine TML könne nicht laut spielen. Weil sie nicht gegen ein eingeschlossenes Luftpolster anarbeiten muss, fehlt ihr die Lästigkeit der Kompression, wenn die Membran von der Federsteife der Innenluft wie von einem Trambolin zurückgeschleudert wird, obwohl sie ihren für den Schalldruck nötigen Hub noch gar nicht beendet hat (auch hier sind erst die anderen Lautsprecher für unbefriedigende Ergebnisse verantwortlich). Ein Bauprinzip, das mit so wenig Formeln und Vorschriften für den Lautsprecher auskommt, lässt dem Boxenbauer eine so große Schaffensfreiheit wie kein anderes und eines kann ich garantieren: Jede Transmissionline funktioniert, die eine besser, die andere weniger, doch nie ist das Ergebnis langweilig, weil man es ja vorher schon so simuliert hat.

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