Hörner

Wenn man mit seinen Mitmenschen über Hörner spricht, begegnet man immer wieder dem Vorurteil, Hörner klängen blechern oder nur laut, am ehesten aber wie Megaphone. Fragt man dann weiter, woher sie dieses Wissen beziehen, waren es nicht Hörner, die sie gehört haben, sondern nur andere Mitmenschen, die ihnen dies zu Gehör brachten und mit ständiger Wiederholung dafür sorgten, dass sie diese Beurteilungen für ihre eigene Erkenntnis und damit für die Wahrheit hielten. Erklärt man ihnen dann, dass dieses Urteil möglicherweise falsch sei, äußern sie stets, dass für solche Dinosaurier der Lautsprecherentwicklung heute in der Zeit der “Watt pro Mark”-Verstärker doch wohl wirklich kein Bedarf mehr vorhanden sei, immerhin hätte man das Laufrad doch auch schon durch das Auto ersetzt.

Schon seit grauester Vorzeit steht es für den Menschen außer Frage, dass alles, was mehr oder weniger wie ein Trichter aussieht, in der Lage ist, auf rein mechanischem Weg hineingesteckten Schall am Ende verstärkt herauszugeben. So baute er Musikinstrumente, mit denen er aus weiter Entfernung schon das Nahen des Herrschers anzeigen oder einfach die Aufmerksamkeit anderer auf sich lenken konnte. In einer der ältesten Überlieferungen wird sogar von deren Einsatz als mauerbrechende Kriegswaffe berichtet (als sich die belagerte Stadt Jericho nicht herkömmlich öffnen ließ, marschierten mit Trompeten oder Hörnern bewaffnete Heerscharen dreimal um dieselbe, woraufhin die Mauern einstürzten und einer Übernahme nichts mehr im Wege stand).

Nach der Erfindung des Grammophons setzte man auch diesen Geräten die Hörner auf und schon waren an Stimmen und Instrumente erinnernde Geräusche aus dem Trichter wahrnehmbar. Erst mit der Trioden-Röhre von Lee DeForest konnte einem unserem Kopfhörer ähnlichem Gebilde ein höherer Lautstärke-Pegel entlockt werden als jemals zuvor. Dies war aber beileibe nicht das Ende sondern ganz im Gegenteil der Anfang der “Hornverstärkung” im Lautsprecherbau. Um nicht ständig beim Radiohören Kopfhörer tragen zu müssen, nahm man das Trichterprinzip des Grammophons wiederum zur Schallverstärkung her und erzielte eine für die damalige Zeit unerhörte Wiedergabequalität (uns high-end-verwöhnten Heutigen würden sich die Ohren biegen, doch wie wird man möglicherweise in 100 Jahren über unsere Errungenschaften des Klangzaubers vor Lachen Bauchschmerzen bekommen).

Den bahnbrechenden Durchbruch verdanken wir den “Bell”-Ingenieuren Wente und Thuras mit ihrem im Jahre 1928 patentierten Druckkammmerlautsprecher mit freitragender Schwingspule und inverser Aluminium-Membran, dessen kommerzielle Umsetzung die zu “Bell” gehörende Firma “Western Electric” übernahm und mit frühen Modellen wie 555/555W Standards setzte, die auch nach heutigen Maßstäben noch immer zum Besten gehören dürften (leider sind sie zur Beurteilung kaum mehr verfügbar, da sie laut einer verlässlichen Quelle zu 99 % audiophilen japanischen Ohren das Musikhören versüßen). Bis auf den heute üblichen, damals aber noch zu aufwändigen Permanentmagneten und das Design des Phase-Plugs sind diese Lautsprecher für den Mittel- und Hochtonbereich, mit einem entsprechenden Horn kombiniert, nicht groß geändert worden. Ohne sie wäre auch der Arbeitsplatz des Kino-Pianisten nicht überflüssig geworden, doch mit der Möglichkeit, menschliche Stimmen in großer Natürlichkeit wiederzugeben, wuchs der Wunsch Hollywoods, den Kinogängern ihre Lieblingsschauspieler auch sprachlich nahe zu bringen (auch wenn das dem Vernehmen nach manche Karriere abrupt gestoppt haben soll). So startete 1927 mit dem bedeutenden Epos “The Jazz-Singer”, dargestellt vom beliebten und erstmals in einem Film tatsächlich singenden Al Jolson, der Siegeszug des Tonfilms, der in engem Zusammenhang mit der Weiterentwicklung von nun benötigten wirklich lauten Lautsprechern stand, wollte man doch einem vielköpfigen Publikum mit genügender Qualität die Dialoge bis in die hinterste Reihe hinein verständlich machen (vorne war “Rasiersitz”).

Zur Wiedergabe von Musik bis in den Bassbereich hinunter reichte der “front-loaded” Druckkammer-Lautsprecher nicht aus, also musste man dazu andere Konzepte suchen. Hier leistete der englische Erfinder P.G.A.H. Voigt mit seinen “rear-loaded” Bass- und Full-Range-Hörnern, die er mit Treibern mit sehr leichten Papiermembranen betrieb, Pionierarbeit. Die Fertigung unterliegt wie in den Anfängen auch heute noch der Firma “Lowther”. Auf die Bauform des meist von ihm verwendeten “Tractrix-Horns” kann in diesem Artikel leider nicht genauer eingegangen werden.

Kurz nach Ende des 2. Weltkriegs waren dann aber doch die Tage der Hörner gezählt: Mit der Erfindung der “Push-Pull”-Pentode mit viel mehr Leistung und erst recht seit dem Transistor-Verstärker mit “Power bis gaskrank” konnte man die durchaus sarggroßen Kisten in eben diese stecken, denn man hatte mit den von Rice und Kellogg auf den Weg gebrachten Direktstrahlern trotz Watthungers keine Mühe mehr, große Lautstärken aus handlich kleinen Boxen zu kitzeln.

Kurioserweise wurde diese Entwicklung von einigen wenigen “Ewig-Gestrigen” verschlafen und so findet sich immer noch – allen Weisheiten zum Trotz – eine kleine Schar von Horn-Begeisterten in der Musik-Konsumenten-Szene, die sich beharrlich weigern, die musikalische Überlegenheit von kleinen “High-End”-Zwei-Wege-Boxen anzuerkennen. Trotzig behaupten sie, Hörner hätten nicht nur den Vorzug der größeren Effizienz – was sollte sie denn sonst noch auszeichnen? Nun ja, betrachten wir einmal genauer, wie ein Horn “arbeitet”, bevor wir uns den gängigen Vorurteilen anschließen.

Beschränken wir uns bei unseren Betrachtungen auf die angesprochenen “Rear-Loaded”-Exponential- Bass-Hörner, auch wenn ein großer Teil an Analogien zu allen anderen Hornformen vorhanden ist.

Genau besehen besteht ein Hornlautsprecher aus 5 miteinander in Beziehung stehenden Komponenten: dem Lautsprecher, der Druckkammer, dem Hornhals, der Hornlänge und dem Hornmund. Was sind nun die Aufgaben dieser Teile?

Der Lautsprecher verrichtet die Arbeit. Erwünscht ist ein hoher Wirkungsgrad, der mit einer leichten Membran, idealerweise Unterhang-Schwingspule (Verzicht auf das Gewicht einer langen Wicklung) und einem hohen Kraftfaktor B x l erzielt wird. Die Membran wirkt auf die Druckkammer. Dies ist ein berechenbarer Raum hinter dem Lautsprecher, dessen Austrittsöffnung A kleiner ist als die Membranfläche M (in der Literatur werden verschiedene Berechnungsansätze teils mit Näherungsformeln teils auf Thiele/Small-Parametern basierend sowohl für die Kammer als auch für die Öffnung genannt, die für die Beschreibung der Vorgänge in beiden jedoch nicht erheblich sind, weshalb wir hier auf Formeln verzichten werden). Durch die Bewegung der Membran wird ein Luftvolumen durch die schmalere Austrittsöffnung gepresst, wobei in ihr die Strömungsgeschwindigkeit der Luft im Verhältnis M/A erhöht wird. Einhergehend mit der Erhöhung des Strahlungswiderstandes und dem Anstieg des Wirkungsgrades wird die Auslenkung der Membran bedämpft, was ein Herabsetzen der Verzerrungen bewirkt. Nun könnte man geneigt sein, durch eine immer kleiner werdende Austrittsöffnung den Wirkungsgrad immer weiter zu steigern, doch hier ergibt sich eine natürliche Grenze: ist die Öffnung zu eng, bilden sich Luftwirbel, die sich wiederum als erhöhte Verzerrungen oder auch als Strömungsgeräusche bemerkbar machen oder aber, bei noch kleinerem Auslass, passt die Luft nicht mehr hindurch und es kommt zu einem frühzeitigen Abbruch der gewünschten Effekte.

Die am Austritt entstehende Geschwindigkeitstransformation nimmt, da Luft kompressibel (zusammendrückbar) ist, zu höheren Frequenzen ab, d. h. der Strahlungswiderstand wird kleiner und der Wirkungsgrad fällt, als Faustregel gilt, je größer die Druckkammer, desto früher der Pegelabfall zu höheren Frequenzen. Damit ergibt sich eine obere Grenzfrequenz für die Wirkung der Druckkammer, bei der die Schallübertragung durch das Horn allmählich von der Lautsprechermembran direkt übernommen wird. Lautsprecher und Druckkammer bilden zusammen einen neuen Treiber mit verbesserten Bedingungen für die Schallabstrahlung durch das dahinter beginnende Horn, dessen Öffnungsverlauf vom Hornhals zum Hornmund konisch, exponential, hyperbolisch oder parabolisch sein kann.

Die tiefste vom Horn abzustrahlende Frequenz bestimmt die Mundfläche des Trichters. Sie wird (bis zu nicht mehr handhabbar) immer größer, je tiefer die Box spielen soll. Stellt man das Horn auf den Boden (was bei Basshörnern wohl üblich ist), halbiert sich die Mundöffnung, da der Schall jetzt nur noch halbkugelförmig in den Raum abgegeben wird. Eine weitere Halbierung erhält man, wenn man den Lautsprecher vor einer Wand postiert, am kleinsten wird der Hornmund bei Aufstellung in einer Raumecke. So wird die Größe der Box etwas wohnraumfreundlicher.

Wenn die Flächen von Hornmund und Hornhals bestimmt sind, ergibt sich die Hornlänge aus der Verlaufsgeometrie und der dafür bestimmenden “Trichterkonstanten”. Die Trichterkonstante legt fest, in welchem Verhältnis sich das Horn über die Länge öffnet. Sie ist im konischen Fall linear, in allen anderen verläuft die Öffnung nach entsprechenden parabolischen, exponentiellen oder hyperbolischen Funktionen. Für alle Bauweisen sind Hornhals und Hornmund gleich groß.

Am Hornhals ergibt sich durch die gegen die Membranfläche kleine Öffnung ein hoher Druck mit geringer Teilchenbeschleunigung, was im Verlauf des Horns durch die sich erweiternde Fläche in niedrigen Druck und hohe Teilchenbeschleunigung transformiert wird. Die eigentliche Aufgabe des Trichters besteht darin, den Strahlungswiderstand des (relativ) kleinen Lautsprechers an den umgebenden Raum anzupassen, und damit die akustische Leistung zu erhöhen – am Hornmund ist der Strahlungswiderstand des Schallerzeugers an den der Umgebungsluft angepasst.

Den Verlauf des Schalldruckabfalls zur unteren Grenzfrequenz bestimmt ebenfalls die Horngeometrie, beim konischen Verlauf wird der Druck am schnellsten abgebaut, was einen flacheren Abfall zur Folge hat, beim hyperbolischen geschieht der Druckabbau langsamer, wodurch sich allerdings auch die Verzerrungen erhöhen. Einen guten Kompromiss zwischen diesen stellt das Expo-Horn dar.

Bei der Betrachtung der Schalldruckerhöhung sei auch der Effekt der Schallbündelung durch Reflexionen im Hornverlauf nicht unberücksichtigt. Doch wie kann das hier Beschriebene Hornboxen Direktstrahlern überlegen machen? Durch eine verbesserte Energie-Umwandlung muss eine “Horn-geladene” Membran bei gleicher Lautstärke weniger Hub machen als eine gleich große direktstrahlende. Da jedoch die vom Lautsprecher erzeugten Verzerrungen vom Hub abhängen, sind sie bei ersterem kleiner als beim zweiten.

Bei gleicher Lautstärke lässt der Horn treibende Lautsprecher dem Verstärker mehr Reserven für die Darstellung von Impulsspitzen, da er seine Aussteuerungsgrenzen wesentlich später oder, wegen protestierender Nachbarn, gar nicht erreicht. Der gleiche Schalldruck kann von einer kleineren Membran mit kleinerer Masse erzeugt werden, wodurch sich die Impulswiedergabe verbessert, Ein- und Ausschwingvorgänge gelingen müheloser. Dies führt zu einer lebendigeren, anspringenderen und weniger angestrengten Wiedergabe von dynamischen Musikpassagen wie Schlagzeugattacken, Einstürzenden Neubauten oder wildgewordenen Harfe-Spielerinnen (Deborah Henson-Conant: Just for You: “Under The Bed”. Sehr empfehlenswert!).

Kurz gesagt, ein Hornlautsprecher erzeugt mehr Dynamik bei bedeutend weniger Verzerrungen mit verbesserter Impulsantwort und weniger Verstärkerstress. Daher verbindet der wahre Fan den Ausdruck “Horn-Sound” mit den Adjektiven klar, dynamisch, körperlich, präsent, detailreich, aber ehrlicherweise auch mit schonungsloser und “mit brutalst möglicher Offenlegung” aller Fehler in der Übertragungskette, den abgespielten Aufnahmen oder leider auch mangelnder raumakustischer Anpassung.

Selbstverständlich gilt bei der Konstruktion eines Horns Sorgfalt mehr als Schnelligkeit. Ebenfalls wäre es unvernünftig, den Wohnraumaspekt bei der Betrachtung von Hörnern einfach außen vor zu lassen. Viele hervorragende Hornkonstruktionen schlummern noch in den Köpfen begeisterter Hörnerbauer aus Mangel an Platz, das fertige Produkt dort hinzustellen. Auch kann das Argument: “wenn Du mich liebst, dann lässt Du mich die Bude mit meinem Lautsprecher vollknallen!” einen unerwünschten, wenngleich verständlichen Ausgang nehmen, wodurch dann zwar Platz, nicht aber man selber mehr in der Bude ist.

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