15. April 2018

Chorus 51 ACL

Autor: Udo Wohlgemuth

Manchmal führen Verwechslungen zu neuen Erkenntnissen, die es ohne sie – wenn überhaupt – erst sehr viel später gegeben hätte.  So ging es mir, als Rodscher wegen der nicht mehr lieferbaren Symphony 4 ACL anfragte, für die er die Chassis aus seinem Sympony 24 Center lediglich um einen Hochtöner ergänzen müsste. Schade für ihn, die gab es nie, er hatte die Symphony 5 ACL im Kopf gegen die kleinere 4er getauscht. Kein Wunder bei den vielen, ähnlichen Konstrukten aus unserem Haus.

Guten Freunden soll man helfen, man weiß nie, wann mal sie selbst einmal braucht. Dieser alte Spruch aus der Kaufmanns-Schule zwang mich dazu, über einen Nachfolger der wohlklingenden Einheit aus 5er und Keramik-Hochtöner nachzudenken.  Der 5-212 kommt dafür nicht in Betracht, sein angestammter Partner ist der ER4 und somit fällt diese Kombination preislich etwas aus dem Experimentier-Rahmen. Doch der 5-612 RP aus der Orchestra-Reihe und sein Mitspieler 25 SD 4 rissen sich geradezu um den Job, der mir nun endlich den passenden Anlass gab, mir über das bisher undokumentierte ACL-Prinzip ein paar Gedanken zu machen. Ganz recht kam mir dabei, dass die Christengemeinde ein Fest mit vielen Feiertagen angesetzt hatte, Ostern mit Namen und samt geschlossenem Donnerstag fünf Tage ohne Besucherandrang auf dem Sofa. Zeit genug also, eine allgemeine Regel für den funktionalen Aufbau unserer Acoustic Chamber Line zu erarbeiten. Wer Angst vor mathematischen Formeln hat, darf beruhigt weiterlesen. Wir werden keine Differentialgleichungen lösen, sondern lediglich handliche Faustregeln für den eigenen Gebrauch aufstellen.

Fragen wir zuerst einmal, was das ACL-Prinzip bewirken soll und was andere Bauweisen nicht besser können. Nun, Gehäuse sind die notwendige Basis für die Basswiedergabe und durch ihre Gestaltung sorgen sie, einfach ausgedrückt, für einen Kompromiss zwischen Tiefe und Belastbarkeit.  Dabei gilt der Zusammenhang: Je größer, desto tiefer, aber durch mehr Hub schneller an der Grenze angelangt.

 

Durch die Acoustic Chamber Line erreichten wir in der Praxis mittels aufeinander wirkender Kammern offenbar eine Hubentlastung bei großem Volumen und konnte so aus kleinen Chassis erstaunlichen Tiefgang aus zierlichen Standboxen “zaubern”.

Ohne Frage ist hierbei die Bassgröße relevant, ein 38er braucht untenrum keine Gehhilfe. Angebracht ist sie bei allen Treibern, die in kleinen Holzverschlägen nicht von allein unter 60 Hz kommen. Schluss ist daher beim 15er. Ein 17er will meist schon um die 20 Liter im Rücken haben, kann dafür aber auch knapp an die 40 Hz herunter.

Schon bei den Messungen zur U_Do 1 fiel mir im Impedanzschrieb eine gewisse Ähnlichkeit zu meinen Transmission-Lines auf. Ein kleiner, dritter Peak zeigte sich um 170 Hz, der bei Reflexboxen unüblich ist. Doch für eine TL mit fast 50 Hz Grenzfrequenz ist die Laufleitung um ein gutes Stück zu kurz, kann es also nicht sein.

In LSPCad fand ich eine Abstimmvariante namens “double tuned bass reflex” in zwei Versionen. Die zweite war mir immer klar, das ist die Geschichte mit dem inneren Helmholz-Resonator, den Bernd Timmermanns so gern in seine Boxen baut(e). Die erste jedoch hat eine Chassis-Kammer, aus der ein Reflexrohr in eine zweite ohne eigenen Antrieb führt, aus der dann mittels zweitem Rohr Schall austritt. Vorschläge zum Volumen und der Abstimmung der Kammern macht das Simulationsprogramm auch, für die erste Kammer errechnet LSPCad das “normale” Reflexvolumen, was wir auch bei unseren ACL’s als Grundlage nahmen. Doch die so erzeugten Frequenzgänge würde ich auch bei schlechtem Willen nicht auf die Welt loslassen.

Als ich statt des 20 cm langen HP50 im Inneren der Box meine gewohnte Brettstärke von 1,9 cm eingab und die Öffnungsfläche auf 80 % der Membranfläche erweiterte, kam ich schon auf ein leicht verbessertes Verhalten bei unveränderten Kammergrößen.

Mit dem äußeren Reflexrohr stimmte ich das Gesamtsystem tiefer ab, statt eines HP 70 gab ich ein HP 50 bei gleicher Länge von 10 cm vor.

Man, das sah doch schon sehr gut aus! Leider wusste das die Praxis im schnell aufgebauten Kasten nicht ausreichend zu würdigen. Sie ließ sich von der Theorie der Simulation nicht täuschen und buckelte ähnlich wie im 2. Diagramm auf. Abhilfe schaffte die Vergrößerung der 2. Kammer auf das doppelte Volumen der ersten, was nicht ganz zufällig auch den Gegebenheiten meiner bisherigen ACL’s entsprach. Ein kleines Stück Polsterwatte steckte ich virtuell noch in die obere Kammer.

Schnell durchgeführte Kontroll-Simulationen meiner U_Do 1 und SB 12 ACL zeigten im Vergleich zu ihren Messungen deutlich zu viel Basstiefe, was mich in diesem Fall auf reale 50 Hz @ -3dB hoffen ließ, wenn auch meine Innenteiler eingeklebt sind.

Um auch Holzlisten für ACL’s auszugeben, modifizierte ich den Holzlistenrechner ein wenig. In Sketchup malte und in der Werkstatt baute ich zuversichtlich einen Holzverschlag mit grob 96 x 16 x 16 cm Innenmaß aus 19 mm schwarzem MDF und 18 mm Multiplexseiten auf.

 

Für die erste Messung ließ ich die Innenbretter weg und eine Seite offen. So konnte ich nach und nach alle Unterteilungen einfügen und deren Auswirkungen auf die Schallabgabe am Reflexrohr messen. Zwei Zurrgurte und eine Klemmzwinge halfen dabei, die Seite luftdicht auf die Box zu pressen.

Als erstes wurde die Bassabgabe am noch 10 cm langen HP 50 ohne Innenbretter, aber mit lockerer Polsterwatte-Füllung  gemessen (braun), anschließend die obere Kammer mit etwa 8 Litern Volumen und 64 cm² Durchlass (grün) abgeteilt. Im nächsten Schritt wurde die untere Kammer in gut 5 und 11 Liter geteilt (rot). Die endgültige Aufteilung des Innenraums  zeigt die blaue Kurve, in der dann auch der ausgeprägte Haken als Folge der Phasendrehungen um 350 Hz an den Durchlässen  gewichen ist.

Der Gewinn durch die Kammeraufteilung zeigt sich im Vergleich der ersten (jetzt rot) und letzten Messung (weiterhin blau).  Insgesamt schenken uns die Bretter von 30 bis 250 Hz zusätzlich zwischen 1 und 2 dB Pegel, wofür der Bass keine sichtbaren Auslenkungen macht. Gemessen wurde mit 1,418 Volt direkt am Rohr, was die 110 dBSPL im Diagramm erklärt.

Selbstverständlich haben wir diverse Kammerkonstellationen getestet, die Durchlässe verändert und auch längere Reflexkanäle in Inneren eingesetzt. Die besten Ergebnisse hatten wir mit der um 10 % verkleinerten, oberen Kammergröße (QB3), die aus den TSP des BMT errechnet wird. Durchlass gleich 80% der Membranfläche und drei folgenden, identischen Abteilen, die zusammen das doppelte Volumen der ersten Mansarde hatten. Die Zwischenbretter alternierend vorn oder hinten zu verkleben, ergab keinen messbaren Unterschied, wir machten es für das gute Gewissen trotzdem. Unterschiedlich große Kammern haben wir auch getestet, aber keine Verbesserungen bemerkt. Die Länge des Reflexrohres ergab sich aus den Messungen, als sinnvoll zeigte sich hier bei allen Kandidaten die Abstimmung auf 10 % unter Resonanzfrequenz des BMT in der kammerlosen Großpackung.

Nicht unerwähnt lassen wollen wir die Tatsache, dass Lautsprecher recht tolerante Zeitgenossen sind. Daher dürfen unsere Maßangaben nicht als fest in den Boden gestampfte Absolutgrößen verstanden werden. Verschiebungen bis zu 10 % sind eher nicht wahrnehmbar und verpfuschen das Gesamtergebnis nicht. So weist unsere obere Kammer nicht 8,00000000 Liter Volumen, sondern nur grob 7,8 Liter auf. Das Reflexrohr kann zur Raum- und Geschmacksanpassung auch zwischen 4 und 10 cm lang sein. Je länger es ist, desto tiefer reicht der Bass herunter, er wird zum Ausgleich unterhalb von 100 Hz kontinuierlich etwas leiser. Da für eine Faustregel nicht nur ein einmalges Ereignis maßgebend ist, haben wir insgesamt sieben Chassis in ebenso vielen Gehäusevarianten gemessen und dabei keine Abweichungen von unserer ACL-Theorie feststellen können. Trotzdem halten wir es für möglich, dass  sich dereinst ein Lautsprecher dem Bauprinzip verweigert. Das wird unser Weltbild jedoch nicht zusammenbrechen lassen.

Auf Fotos vom Bau haben wir diesmal verzichtet, Fragen dazu beantworten wir aber gern. Um die ersten schon abzufangen: Verklebt wurde mit Fugenleim, statt Schraubzwingen benutzten wir Zurrgurte. Nach dem Verleimen wurden die überstehenden Kanten geschliffen und damit zugleich der ausgequollene Kleber entfernt. Eine schöne Oberfläche erzeugte die restliche Wachslasur, mit der wir bereits den Illumis ein smartes Make-Up aufgemalt hatten.

Der nächste Weg führte uns in die Messkammer, wo wir testweise die Chorus 51-Weiche vor die Chassis hängten. Nach ein paar kleinen Änderungen war das Netzwerk fertig und wir hatten unsere Arbeit im Wesentlichen getan. Eine Impedanzkorrektur für die nicht so seltenen Röhrenhörer haben wir auch entworfen.


Die Weiche wurde mit Heißkleber hinter BMT und HT auf die Rückwand der oberen Kammer geklebt, eine Matte Polsterwatte (20 x 40 cm) deckt sie so ab, dass die Durchgangsöffnung frei bleibt. Das “frei” gilt auch für die anderen Abteile.

 

Das Reflexrohr kürzten wir auf 6 cm, die Chassis wurden gleichphasig angeschlossen.

Messungen:

Oh, da hör ich sie schon wieder rufen: “Da ist ja ein abgrundtiefes Loch bei 1,5 kHz, das kann ja gar nicht klingen!” Nun, die Chorus 51 ACL haben wir schon seit fast zwei Wochen im Laden stehen und mehrmals dem interessierten Publikum vorgesetzt. Gern aufgelegt haben wir dazu Patricia Barber’s “Nardis” von Café Blue mit dem großartigen Schlagzeug-Solo von Mark Walker (auf “mehr anzeigen” klicken und Titel 11 wählen). Ungläubige Blicke und verständnislose Gesichtsausdrücke waren jedesmal der Beginn der Diskussion über das Gehörte. Dieser Raum, diese Auflösung, diese Dynamik, diese Loslösung von den Boxen und erst recht diese Bassgewalt mit dieser Präzision und all das auch noch bei mehr als gehobenem Pegel erstaunte alle, um nicht die meist genannten Superlative zu wiederholen. Als ich vor ein paar Monaten mit Philipp Vavron über diesen vermeintlichem Makel des 5-612 RP sprach, lächelte er nur. Er hatte den Frequenzgang auch mal gerade gezogen, das klang aber nicht. Also hat er alles wieder zurück gebaut. Dafür ist kein Mut notwendig, sondern Charakter. Und den können wir auch ohne weitere Klangbeschreibung unserer Chorus 51 ACL zuschreiben.

Udo Wohlgemuth

Zur Chorus 51 ACL im Online-Shop

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