Geschlossene Box

Als im Jahre 1898 der englische Physiker Oliver Lodge mittels Strom einem Gebilde mit feststehender Spule und beweglichem Eisenkern leise Töne entlockte, war der Anfang für den unaufhaltsamen Siegeszug des elektrodynamischen Lautsprechers gemacht, ohne den unsere heutige Informationsgesellschaft undenkbar wäre. Die Einführung des öffentlichen Rundfunks am 29.10.1923 förderte das allgemeine Bedürfnis nach Schallwandlern, die Radiowellen für die Ohren ganzer Familien hörbar machten. Nachdem von den Western Electric Ingenieuren Wente und Turas 1925 der Ur-Vater fast aller heute gebräuchlichen Lautsprecher erfunden war, befassten sich helle Köpfe mit der Entwicklung immer neuer Konzepte zur Unterstützung der Bass-Reproduktion des Objektes ihrer Begierde. So entstanden Hörner, Transmissionlines und andere Konstrukte mit zum Teil kompliziertesten Umlenkungen, um die von der Membranrückseite abgestrahlten Schallanteile gewinnbringend ins Wohnzimmer zu transportieren. Auf den dafür nötigen Aufwand mit Hunderten von Innenteilern, Zwischenböden und Schallführungen verzichtete nur das Prinzip der geschlossenen Box – der vom Wohnraum verbleibende Rest wurde hierdurch leider nicht größer.

Ziel der geschlossenen Lautsprecherbox war es, den „akustischen Kurzschluss“ zwischen Membranvorder- und -rückseite zu verhindern. An Stelle der aus gutem Grund nicht realisierbaren „unendlichen Schallwand“ baute man ein so großes Gehäuse, dass der Lautsprecher in seinem Übertragungsverhalten nicht behindert wurde. Die Bedämpfung der Eigenresonanz übernahm die steife Membranaufhängung sowie der Elektromagnet, der die Schwingspule trieb. Wegen des geringen Wirkungsgrades damaliger Lautsprecher gewann die „infinite baffle“ genannte Bauart jedoch erst nach dem 2. Weltkrieg an Bedeutung, da jetzt (dank militärischer Forschung) starke Permanent-Magnete aus „Seltenerd-Metallen“ und mit der Push-Pull-Pentode Verstärker mit großer Leistung verfügbar waren. Trotzdem blieben die Lautsprecherboxen für Wohnraumanwendungen unakzeptabel groß und somit in heimischen Gefilden weiterhin der „Volksempfänger“ und dessen Nachfolger vorherrschendes Musikwiedergabeinstrument.

Die heute nicht mehr wegzudenkende Musik im Raum wurde erst möglich, als 1954 Edgar Villchur und Henry Kloss mit der Acoustic Research AR-1 einen geschlossenen Lautsprecher mit „akustischer Aufhängung“ vorstellten. Hierbei griffen sie auf ein 1949 erteiltes Patent von Harry Olsen (RCA/Victor) zurück, das beim Chassisbau mit weicher Membraneinspannung und tiefer Eigenresonanz völlig neue Wege beschritt. Der Weg ins Wohnzimmer öffnete sich schließlich mit dem Regallautsprecher AR 2A und erst recht mit der berühmten AR-3, die neben Soft-Dome-Kalotten-Hoch- und -Mitteltönern einen 12-Zoll Langhubbass beherbergte. Damit war die Tür für den Musikgenuss auf heimischer Couch geöffnet, denn endlich ließen die Lautsprecherboxen auch dem Rest der Familie noch Platz zum leben. Als die Boxen auch noch an Bautiefe verloren, konnte man sie sogar noch vor den neugierigen Blicken der Nachbarn hinter Gardinen und Vorhängen verschwinden lassen – so gehörten die (natürlich) weißen Braun-Boxen LS 730 zu den zwar oft mit dem Ohr, jedoch selten mit dem Auge wahrgenommenen klassischen Vertretern dieser Spezies. Abgelöst in der Gunst der Konsumenten wurde die geschlossene Box in den frühen 70ern durch nunmehr mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und einer soliden Theorie fundierten Bassreflex-Boxen, deren Väter Neville Thiele und Richard Small neben all ihren Verdiensten auch die Schuld daran trugen, dass lange Zeit potentielle Boxenkäufer mit der Frage: „Haben Sie auch drei Wege, 150 Watt und Bassreflex“ etliche Verkäufer in die Enge trieben.

Nachdem geschlossene Boxenkonstruktionen lange Zeit einfach „out“ waren, erfahren sie seit wenigen Jahren eine Renaissance besonders im Bereich hochwertiger Heimkino-Subwoofer. Doch auch im Lautsprecher-Selbstbau werden immer mehr Fragen nach ihren Vorzügen gestellt.

Damit ein derartiger Lautsprecher nicht noch „flattert“, wenn die Schallplatte (oder heutzutage die CD oder DVD) schon längst wieder im Schrank steht, wird er in eine sehr kleine „Kompaktbox“ eingebaut, deren Volumen zwischen einem Drittel und einem Zehntel des Äquivalenzvolumens Vas des Chassis beträgt. Er erhält seine Rückstellkraft in erster Linie durch die Federsteifigkeit des in der Box eingeschlossenen Luftpolsters. Der Einbau in das Gehäuse erhöht die Resonanz des Basses im Verhältnis Qtc zu Qts, womit tiefe Bassabstrahlung bei genügend tiefer Eigenresonanz auch in einem kleinen Gehäuse möglich ist; da sich geschlossene Boxen zudem wie Tiefpass-Filter zweiter Ordnung verhalten (der Schalldruckabfall unterhalb der Einbauresonanz beträgt 12 statt der bei offenen Konstruktionen üblichen 24 dB/Oktave), hören wir sogar tiefere Basslagen als aus anderen Boxen noch mit vernehmlicher Lautstärke. Der geringere Wirkungsgrad gegenüber offenen Boxen fällt bei den heutigen Verstärkern nicht weiter ins Gewicht, dafür erhalten wir einen „saubereren“ Bass mit mehr Details und Kontour, weil wir die Krücke der Bassverstärkung durch die Schallabstrahlung der Membranrückseite nicht nutzen müssen. Innerhalb der vom Lautsprecher zugelassenen Grenzen können wir die Wiedergabeeigenschaften des Basses durch die Gehäusegröße beeinflussen: kleinere Box, höherer Qtc und umgekehrt. Werte für Qtc um 1,0 neigen zu einer wärmeren, kräftigeren Basswiedergabe, Qtc’s kleiner 0,8 klingen auf Grund ihrer besseren Dynamik detailreicher, jedoch zurückhaltender, bestes Ausschwingverhalten garantiert ein Qtc von 0,5 – allerdings muss man für die dynamische Perfektion eine um ein paar Hertz gestiegene -3dB-Frequenz hinnehmen.

Wesentlich für den Klang geschlossener Boxen ist die Befüllung mit Dämmstoff: Der von der Membran rückseitig abgestrahlte Schall darf nicht wahrnehmbar durch diese hindurch wieder nach außen dringen und muss daher im Gehäuse reduziert werden. Hierzu dienen dem Boxenbauer fest verpresste, faserige Materialien wie Steinwolle, an denen sich die Schall tranportierenden Luftmoleküle reiben und die Schallenergie in Wärme umgewandelt und damit unschädlich gemacht wird. Schaumstoffe wie Prittex sind hier nutzlos. Bei größeren Gehäusen sollten Versteifungsringe, die in unregelmäßigen Abständen eingesetzt werden, selbstverständlich sein. Da Luft natürlich nirgendwo aus der Box austreten darf, sollten alle Verklebungen von innen zusätzlich mit Acryl-Dichtmasse oder mit unserem berühmten Heißkleber abgedichtet werden.

Eine nicht zu vernachlässigende Anwendung findet das geschlossene Gehäuse seit „ewigen“ Zeiten im Mitteltonbereich, wo es nicht nur zur Entkopplung vom Bass dient, sondern gerade hier durch seine Filtercharakteristik in großem Maße bei der Abstimmung hilft – so kann unter Umständen eine kleinere Kammer für den fehlenden „Körper“ oder eine größere für impulsreichere Klavieranschläge sorgen.

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