28. Oktober 2017

Chorus 71 – Rundmachers Werkstattblues

Autor: Rundmacher

Musik in hoher Qualität zu hören, ist heutzutage an fast allen Orten möglich. Wie erst kürzlich hier gezeigt, gibt es selbst im heimischen Bad hervorragende Lösungen. Ein Ort mit erhöhter Verweildauer ist bei mir ganz einfach meine Werkstatt, bei gegebenen Anlass ein kreativer Rückzugsort, das Vorhandensein eines dortigen Zeitloches ist unstrittig. Bisher läuft auf UKW ein Radiosender im Hintergrund, das alte Autoradio am Steckernetzteil und die Selbstbaubox aus dem letzten Jahrtausend dudeln vor sich hin, es geht halt. Nur, wir sind hier bei ADW. Es sollte doch möglich sein, mit Leichtigkeit etwas aus der Abteilung ‚State of the Art‘ zu gestalten!

Zwei neue Boxen müssen es werden, aber welche? Aus der U_Do Reihe oder die Caldera, falls es etwas lauter werden soll? Die Entscheidung fiel schnell und leicht. Warum soll ich mit einer Einsteigerbox beginnen (okay, die hat in anderen Fällen vielfach ihre Berechtigung), wo ich doch bereits weiß, wie die Bluesklasse klingt. Dann upgrade ich irgendwann dahin und habe die Vorgänger stehen.

Ich wähle das höchste Preis-/Leistungsverhältnis, die Bluesklasse ist gesetzt. Welche Chassis? Klar, von Eton. Der ER4 ist für die Werkstatt Overkill, den hebe ich mir auf. Und die Keramikkalotte wollte ich nicht, es soll eine etwas wärmere Tonlage anstehen. So wird es eine Chorus werden, als Bassmitteltöner ein Orchestra Chassis und der Hochtöner die ferrofluidfreie Gewebe-Kalotte. Die großen Exemplare wie die 52, 74 und 85 schienen mir für den vorgesehenen Einsatzzweck als sehr mächtig, eine 71 oder 81 hätte mein Interesse geweckt.

Bei einem zufälligen Besuch auf dem Ledersofa muss ich recht ungläubig geschaut haben, als der Entwickler eine Chorus 71 in Aussicht stellte. Sie war noch nicht geboren, aber quasi schon in der Schwangerschaft befindlich. Es dauerte nur Sekunden, sie wird es einmal werden! Leicht schmunzelnd kam dann noch die Frage, warum ich mit dem Bau nicht gleich beginnen will.

Wie jetzt, kann und soll ich eine Lautsprecherbox aus der Bluesklasse bauen, die es noch gar nicht gibt? Unter der Oberaufsicht des Entwicklers? Wow, Leserprojekt? Na klar! Als Tipp zum Gehäusebau kam der Hinweis, dass es das Gehäuse der Linie 71 sei. Das Volumen, die Reflexabstimmung und die Ausschnitte stimmten zu 100 % überein. Eine Sketchup-Zeichnung gibt es daher auch schon.

Wieder zu Hause angelangt, kam nach einer Mailanfrage dazu innerhalb von 35 Minuten die Antwort, dass ich in den nächsten Tagen die Chassis, das Bassreflexrohr sowie die Polklemmen erhalte. Damit kann ich alles anpassen. Nach der Geburt der 71 kommen dann die Weichenbauteile. Einen Speditionstag später stand das Paket wohlbehalten in seiner zukünftigen Unterkunft.

Der Holzzuschnitt war schon –hehe, STOPP, das Holz. Das ist ja wohl ganz klar, da gibt es keine Diskussion. Es ist eine Werkstatt, jede Box, welche nicht aus dem einzig hier passenden Material OSB geschaffen ist, wäre fehl am Platz. Etwas anderes als OSB? Undenkbar, tsss.

Da stehen sie in ihrem zukünftigen Zuhause, die Chassis, die Reflexrohre und die Polklemmen, alles im Vorfeld eingetroffen, mal schauen, ob ich schneller bauen kann, als der Entwickler die Weichen eingemessen und feingehört hat…

Da kleben sie auch schon zusammen. Wer genau hinsieht, kann an der rechten Box erkennen das der schmale Steg zwischen der Außenkante und dem 181mm Kreisausschnitt ausgerissen ist, trotz neuem Fräser. Beim nächsten Mal wird erst gefräst und dann gesägt, evtl. ist das besser. Kaum waren sie geklebt, kam die nächste Sendung mit den Weichen.

Ein Schritt weiter ist nichts mehr zu sehen, mit etwas Leim plus OSB-Späne -nach Trocknung natürlich Schwingschleifer- ist es kaschiert. Ein wenig Farbgebung gebührt der Chorus 71 uneingesprochen. Es sind Farbreste von anderen Projekten, das Weiße ist eine HK-Lasur von Remmers. Sie ist nicht deckend, daher ist die OSB Maserung weiterhin erkennbar. Die rechten und linken Kanten der Seitenbretter werden mit etwas Bondex Außenlasur im Farbton Palisander versehen, das verschlankt sie etwas.

Ein kleiner Exkurs zum Thema Löten sei mir an dieser Stelle erlaubt.
Seit vielen Jahren halte ich es so:

Das A und O ist das Flussmittel, ich verwende Kolophonium.

-kauft nicht das für die Musiker, welche ihre Geigenbögen damit behandeln, das ist total überteuert, im WWW werden 500 g für unter 10 € gehandelt, das reicht ewig-

Ich verwende einen Eichenholzquader, mit dem 25 mm Forstnerbohrer ein 1 cm tiefes Loch gebohrt, dort eine kleine Aluminiumscheibe eingelegt und mit Kolophoniumkrümeln gefüllt.

Dort hinein Lötzinn (63 % Zinnanteil) mittels Lötkolben hineinfließen lassen bis sich eine etwa kirschgroße Kugel bildet, sie schwimmt im flüssigen Kolophonium. Die verzinnte Lötkolbenspitze eines herkömmlichen, preiswerten 60 W Lötkolbens wird so immer von den unerwünschten Zunderrückständen befreit, die flüssige Lötzinnkugel nimmt den Zunder auf und er sinkt auf den Boden. Selbst ältere Kupferdrähte nehmen in diesem Minibad das Zinn an, sie schwimmen förmlich im Flussmittel. Und wer dann noch Kolophonium in normalen Haushaltsspiritus auflöst – das dauert eine Weile, bis es die Konsistenz von Honig hat – hat ein universelles Flussmittel welches mit einem Pinselchen an die verschiedensten Orte wie Lautsprecherösen angebracht werden kann.

Hier sind auch schon die Polklemmen.

Auseinander geschraubt kann man die Anschlußkabel anlöten ohne Befürchtungen, dass bei zu langer Hitzezufuhr die Thermoplastelemente Schaden nehmen. Man sollte wirklich sauber arbeiten, damit die Mutter wieder das Gewinde erfasst.

Einmal angeheizt geht es gleich weiter mit der Frequenzweiche. Alle Bauteile auf ein Blatt Papier gelegt und von Hand geroutet, danach dünne Holzbrettchen gesägt und die Bohrungen ausgeführt. Die Bauteile durchgesteckt, die Beinchen verbogen und nach dem Schaltplan verlötet. Die Bauelemente werden mit Heißkleber fixiert.

An den Außenkanten der Weichenbrettchen sind an den entsprechenden Stellen 2 mm Löcher gebohrt. Dort wickle ich eine komplette Windung der verzinnten Lautsprecherlitze um die Kante und habe so einen stabilen Lötstützpunkt zum Nulltarif, das funktioniert seit über einem halben Jahrhundert.

Kleiner Einschub von ADW:

Die Weiche folgt den Vorgaben der Chorus-Reihe, damit alle Komponenten neben dem Stereogenuss auch im Heimkino ohne Brüche im Klangbild wild verschmelzen lassen. Der Bass benötigt eine Spule und einen kleinen Saugkreis auf die Resonanz bei 3,1 kHz, der Hochtöner ist mit einem Filter aus Kondensator und Spule zufrieden, ein Spannungsteiler reduziert seinen Pegel. Da die Chorus 71 sicherlich gelegentlich an Röhren angeschlossen wird, haben wir seine Impedanz linearisiert.

Messungen:

Klangbeschreibung

Gleich nach der Endmontage kam die sofortige Funktionsüberprüfung, wer wird es nicht erwartet haben. Angeschlossen an das alte Werkstattautoradio ein kurzer Check des UKW Rundfunkempfanges. Selbstverständlich war gegenüber den alten Boxen aus dem dortigen Bassgewummer eine natürliche Tiefenwiedergabe geworden und die jetzt vernehmbaren, hohen Frequenzanteile sprachen ihre eigene Sprache. Das war keine Kunst, das können andere ebenso.

Ein angemessen adäquates Zuspielgerät war in Form eines Vintage Yamaha Receivers bald angeschlossen. Im Pure Direct Modus liefert er die CD Zuspielung im Stereomodus recht passabel. Die Höhen werden transparent dargestellt, keine Aufgeregtheit oder gar Aufdringlichkeit. Die Bässe, wo sind die Bässe? Der Lautstärkeregler durfte seine Neunuhrposition verlassen und sich Richtung Mittag bewegen. Er hätte auch so bleiben können, denn wenn in dem Musikstück die Bässe erst später erscheinen … Die Chorus 71 kann Bässe, und wie. Ausgewogen, trocken, erbarmungslos.

-im Verkaufsprospekt eines Bentley steht unter Motorisierung: AUSREICHEND-

Man könnte diese Marketingaussage uneingeschränkt auf die Chorus 71 übernehmen.

Die Kabel schnell umgesteckt, ich will mehr wissen. In der guten Stube wurden die wirklich sehr alten Hauptlautsprecher, welche am neuen Receiver hängen, durch die Chorus 71 ersetzt.

Heimkino.

Was ist das, ich hatte es fast geahnt, oder ist es doch nur ein Wunschdenken? Der dicke Samtvorhang vor meinen 80iger Jahre Boxen ist weg, eine sehr, sehr klare und saubere Wiedergabe überrascht in ihrer Einfachheit. Ich merke, im nächsten Jahr bekomme ich an dieser Baustelle richtig zu tun.

Bevor sie wieder in ihre neue Heimat, die Werkstatt umzieht, ein weiterer Wechsel der Zuspielung. Radio via Satellit, höchste Qualität. Ein Klassiksender ausgewählt, es beginnt die Ouvertüre zu Iphigenie in Aulis. Ist es Zufall? Ein junger Mensch, ein Musikschüler, neben den Berufsmusikern auf der Bühne sitzend, hat dies einmal gespielt. Jetzt wieder vor der Bühne auf dem Sofa sitzend, doch den Lautstärkeregler auf Vierzehnuhr gedreht. Der Dirigent klopft mit dem Taktstock kurz auf das mittig stehende Pult, die Streicher links, die Bläser dahinter. Nach ein paar Minuten dominante Oboen, das leichte zarte Hintergrundzischeln der Mundstückröhrchen klar erkennbar. Jetzt müssen die Klarinetten kommen, beide, die Erste und die Zweite. Da waren sie, rechts ortbar neben den Oboen. Ein Chor der Musikgeräte, die Chorus 71 macht ihrem Namen alle Ehre.

Mittlerweile neben mir sitzend gab es eine kurze Mitteilung meiner Frau: „Wie bei Udo auf dem Sofa.“

Zweifellos war dies die höchste Anerkennung.

Rundmacher

Nachtrag:
Immer beliebter wird die Chorus-Reihe bei unseren Heimkino-Freunden. Da sie gern mit dem ChorusSub 11 und den Chorus 51-Varianten kombiniert werden, passt der Phase Plug der 7-512 optisch nicht wirklich dazu. Deshalb haben wir uns entschieden, die Chorus 7-Serie auf den 7-612 umzustellen. Damit haben alle Chassis nun einen einheitlichen Look mit Staubschutz-Kalotte.

Nicht mehr lieferbar

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Hallo Rundmacher,

ein schöner Bericht und ein Lautsprecher, der sehr neugierig macht.
Am beeindruckendsten für mich aber diese wunderbar sortierte und aufgeräumte Werkstatt – ein Traum!

Neidische Grüße,
Jo

Moin.

Raum. Kalotte. Passt.

KH

Moin.

OSB auf Gehrung. Boääh.

Hesse

Gefällt!

Schön auch die Diskussion! Kolophonium, der Geruch nach gefeiltem Pertinax, Schütze in Ratterschaltung… Da werden Erinnerungen wach. 🙂

Mein nächstes Projekt wird auch in OSB gemacht. Aber die Luxusvariante mit Gehrungen. Bin schon sehr gespannt!

Beste Grüße aus Florida,

Stefan

Hallo Rundmacher,
sehr schöner Bericht und tolle Lautsprecher! Ich hoffe, die finden irgendwie den Weg zum 2017er Hörevent…
Es würde mich nicht wundern, wenn die Chorus 71 zu den beliebtesten Boxen gehören werden. Ich habe vor gut zwei Wochen die Chorus 85 hören dürfen und war schwer beeindruckt…
VG Axel

…ja, auch da waren wir uns einig. Die Chorus löst bei mir einen sehr starken …wo könnte ich die jetzt noch hinstellen-Reflex… aus.

Guten Abend,
ha, da sind sie. die großen Schwestern meiner liebst gewonnenen Schreibtisch Boxen….
Und dazu in einem herrlich frugalen Design.
Mir fehlt an nichts auf meinem Hörplatz am Bildschirm, wäre dem so, diese würden es wahrscheinlich werden 😉

Aber was mich an Deinem Bericht am meisten bewegte, war der Löt-Exkurs. Auch ich verwende Kolophonium, der Weihrauch des Industrieelektrikers 😉
Deine Methode erinnert mich an “Überlieferungen” aus der alten Zeit. In sehr seltenen Fällen bekomme ich noch Klappertechnik-Schaltschränke unter´s Messer, die älter sind, als ich.
Vor der Zeit von harmonisierten Leitungen und Aderendhülsen hatten die Elektriker ihre “kleine Hölle” zur Hand, ein Schmelzbad mit flüssigem Lot zum Verzinnen der Leitungen.
Zudem wurde jeder Kabelstrang von Hand mit Band umflochten. Diese Schränke sind eine Form der Kleinkunst, die Optik lässt das Herz eines jeden “Monks” höher schlagen. Heute unbezahlbar.
Die Geschichten dazu bekommt man nur noch am Lagerfeuer erzählt 😉

Gruß,
-Sparky

Moin Rundmacher,
Genialer Bericht und feine Aktion, wird sicher viele Nachahmer finden
Und das OSB, ja das OSB… für die Werkstatt kommt wirklich nix anderes in Frage 😉
Und das es der Bluesklasse absolut angemessen ist wurde ja anderweitg schon mal nachgewiesen

Matthias

Hallo Rundmacher, passende Lautsprecher zur Werkstatt, richtig gut. Bei der Größe passt sicherlich auch die Chorus. Ich bin etwas neidisch, auf meinen 6qm muss die Mona 2.1 es tun, was ihr auch einwandfrei gelingt.
Viel Spaß mit der Neuvorstellung 71.
Gruß Dino
P.S. OSB, ich höre schon Hesse um die Ecke kommen…

„…passende Lautsprecher für die Werkstatt…“ kann sich nur auf das Design beziehen🤔. Ansonsten gehören die ins HiFi-Studio👍👌

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