10. April 2022

4 x BelAir aktiv

Autor: Udo Wohlgemuth

Wie sich die Anfragen doch ähneln! Kaum hast du eine neue Serie so halbwegs komplettiert, gibt es weitere Begehrlichkeiten zu erfüllen. “Ich will mir für die neuen Boxen auch gleich einen ordentlichen Verstärker zulegen. Was kannst du mir denn zu den BelAirs empfehlen?” Nun, das ist Geschmackssache und niemand weiß, was einem anderen subjektiv am besten gefällt. Ein “Kauf das, ich hab es auch und bin damit so zufrieden” wird wohl niemals über meine Lippen oder aus meiner Tastatur kommen. Aber einen Weg mit guten Erfolgsaussichten bietet die Aktivierung, heute eigentlich fast schon mehr ein Muss als ein Kann für Lautsprecher mit gehobenem Anspruch und vermutlich auch das verborgene Ziel der meisten Fragen.

Bekanntlich nutze ich die Hypex FA 122 und 123 für meine Aktivboxen. Sie sind die kleinsten Module aus der Fusion Amp-Serie und reichen mir leistungsmäßig völlig aus. Bisher musste ich damit nie über ihre Grenzen gehen, lange vorher schlugen meine Ohren Alarm.

Sie bieten nicht nur für jeden Zweig einen gut konstruierten Amp, sondern ersetzen auch noch durch ihr DSP-Modul die passiven Bauteile der Frequenzweichen.  Mit 15 Filtern kann jeder Zweig per Software beackert werden, diverse Schaltungen stehen dem Anwender dafür zur Verfügung. Generell speichere ich drei Presets, von denen PS 1 (relativ) neutral, PS 2 mit leichtem Absenken des Hochtons und PS 3 mit kleinem Bassbuckel programmiert ist. Anpassungen auf eigene Vorlieben darf der User selbst mittels EQ vornehmen, sie sind per Haken jederzeit zu- und abschaltbar.  Zum Umgang mit den Modulen gibt es in einigen Berichten und im Forum Hilfe, das englische Handbuch wurde von Rundmacher übersetzt.

Es gibt zwei Fraktionen von Aktivierern. Die einen bauen (zu) kleine, geschlossene Kisten, zwängen den Bass hinein und pressen aus ihm durch eine sogenannte Entzerrung tiefe Töne, die er in solcher Umgebung niemals freiwillig von sich geben würde.  Verständlich ist dieses Vorgehen durchaus, immerhin gewinnt eine kleine Box viel eher das Wohlwollen der weniger an guter Musikwiedergabe interessíerten Mitbewohner. Und dass es schlecht klingt, ist bis zu einem recht hohen Pegel nicht zu erwarten. Trotzdem halte ich mich eher an die Devise: Je zwangloser etwas geschieht, desto mehr (Spiel-)Freude kommt auf. Deshalb baue ich passive und aktive  Lautsprecher in die gleichen Gehäuse und nutze lediglich die kleinen Vorteile der elektronischen Filterung. Die Module kann man in die Boxen integrieren. Dafür muss eine luftdichte Kammer hinein gebaut werden, die sich nicht mit dem Reflexkanal streitet. Einfacher ist es, hinten eine Kiste aufzusetzen, die das Modul beherbergt.

BelAir 71 aktiv

Den Anfang macht wieder die BelAir 71, der das FA 122 die digitalen Töne ins Analoge übersetzt. Wie gewohnt fuhr ich zweigleisig. Auf dem Rechner war Clio Pocket über Cinch und auf dem Laptop der Hypex Filter Designer per USB angeschlossen. Der weitere Weg unterschied sich vom Entwerfen passiver Weichen nicht wesentlich.  Bass und Hochtöner wurden ohne Filterung in der Box gemessen, danach ging es ans Filter Design. Zunächst bekam der Bass bei 20 Hz einen 24 dB Hochpass, was aktiv zwei Biquads kostet, passiv wegen riesiger Spulen und Kondensatoren eher unbezahlbar ist. Dieser Subsonic-Filter schützt das Chassis vor übergroßem Hub, wenn der Tonarm des Plattenspielers in Resonanz gerät. Aber auch von modernen Tonträgern können tiefste Töne zum Lautsprecher übertragen werden, die dort nicht verarbeitet werden können. Ein Tiefpass 2. Ordnung, ein breiter Boostcut auf den Baffle Step und ein schmaler gegen den Peak bei 1120 Hz sind die weiteren Filterungen. Dem AT 60 NC-4 genügt ein Hochpass 2. Ordnung und ein High-Shelf zur Anhebung der höchsten Töne. Zusätzlich wurde sein Pegel um 6 dB abgesenkt. Diagramm 4 und 5 zeigen den Kurvenverlauf unter zunehmendem Winkel und die Einflüsse der Presets.

Wer die Boxen nachbauen möchte, braucht eine Zeichnung. Ich habe sie natürlich mit Freecad angefertigt, für eigene Anpassungen ist die Datei BelAir71 aufgesetzt hinterlegt.

BelAir 72 BR

Weiter ging es mit der BelAir 72 BR, für die ich im Keller ein passendes Gehäuse mit falscher Front fand. Dass ich es schon für fünf andere Umbauten genutzt habe, machte ihm nichts aus. Es wurde jedesmal dafür die Schallwand mit der Kreissäge entfernt und ein Brett mit den jeweils richtigen Ausschnitten auf den Korpus geklebt. Das Schleifen und Lackieren sparte ich mir, die Boxen wollen keinen Schönheitspreis gewinnen. Ich brauchte sie nur für die Messungen.

Wo nun die Gehäuse schon mal da waren, konnte ich auch die Behauptung aus dem Doppel 9-Bericht mit Messungen belegen. Also schnell mal die BelAir 72-Weiche angeschlossen und die Zweig- und Winkel-Diagramme erstellt. Überraschungen gab es nicht,  aber das “Macht, was sie soll” ist nun nicht mehr spekulativ und der Nachbau hat jede Restunsicherheit verloren.

Weiche weg, FA 122 dran und aktiv werden, war eine Sache von Minuten. Beide MW16 P-8 laufen am Channel 1 parallel und benötigen neben Hoch- und Tiefpass nur noch die Baffle Step Kompensation als Filter. Beim Hochtöner an Channel 2 bleibt die Schaltungsweise der BelAir 71 erhalten, doch sein Pegel wird nicht reduziert.

Wer seine Boxenmaße an seine eigenen Bedürfnisse anpassen möchte, kann die BelAir72BR Rohr aufgesetzt nutzen. Ihre Bedienung ist hier ausführlich beschrieben.

Als krönender Abschluss darf das gefakte Foto der BelAir 72 BR nicht fehlen.

BelAir 92 Doppel 9 aktiv

Chronologisch passend folgt nun natürlich die BelAir 92 alias Doppel 9, deren Namen sich dagegen eher nicht so recht erklärt. Matthias (DA) hat es erkannt, mir war das gar nicht aufgefallen. Das nachträglich gerade zu biegen, ist schwierig bis unmöglich. Hat das Kind erst einmal einen Ruf weg, muss sich die Welt daran gewöhnen. Namen sind halt auch im Lautsprecherbau meist Schall, hoffentlich weniger Rauch.

Sitzen zwei identische Bässe unter einem Hochtöner, haben sie unterschiedliche Abstände zum Ohr des Zuhörers. Zwar sind das nur wenige Zentimeter, doch die Auswirkung auf den Schalldruckverlauf sehen wir in der grünen Kurve als tiefe Senke bei etwas über 2 kHz. Die Laufzeitdifferenz ergibt zwangsläufig eine Auslöschung in diesem Bereich statt einer Addition. Gegengesteuert wird durch die frühe Auskopplung des unteren Basses, was für ihn eine separate Endstufe erfordert. Somit brauche ich für die Doppel 9 das FA 123.

Channel 1 wurde mit dem immer wiederkehrenden Subsonic und einem Tiefpass 1. Ordnung beschaltet. Das ergab den schon recht wohlgeformt ausschauenden, roten Linienzug. Der 2. Amp wurde oben mit 12 dB ausgekoppelt, zusätzlich kümmert sich ein Boostcut um den Baffle Step. Zwei Spitzen wurden dann noch bei 4 und 6 kHz eleminiert und die blaue Kurve aus dem linken Diagramm war geboren. Der Hochtöner bekam zu seinem Hochpass und der Höchsttonanhebung zwei schmale Filter auf 3,8 und 5,6 kHz.

Fehlt noch die BelAir92 Doppel 9 Schlitzaufgesetzt-Datei zum Herunterladen, der Bauplan und die Holzliste.

BelAir Lady aktiv

Als vorerst letzte Box durfte die BelAir Lady auf den Messständer hüpfen, wo das FA 123 noch für den Anschluss an die drei Treiber bereit stand. Auf Channel 1 wurden zum Rumpelfilter (ja, so hieß das mal) lediglich ein Tiefpass 2. Ordnung zugefügt, der Mittenkanal brauchte neben 12 dB Hoch- und Tiefpass die Baffle Step-Anpassung und einen High-Shelf bei 2,8 kHz. Der AMT war um 7 dB zu laut, aber ansonsten mit der 71er-Filterung einverstanden.

Für die Lady habe ich eine einteilige und eine zweiteilige BelAir73Lady Version mit Freecad gemalt.

Zwei Worte zum Klang will ich auch zum Besten geben, darauf haben die meisten Leser sicher schon lang gewartet. Nun, ich könnte die Beschreibungen der passiven Versionen noch einmal wiederholen, sie haben nichts an Wahrheit verloren. Allerdings sind alle Töne noch einmal um ein kleines Stück erkennbarer,  sauberer geworden. Digital lassen sich Filter genauer auf den gewünschten Punkt einstellen als mit der üblichen E12-Reihe der passiven Bauteile, die nun nicht mehr mit ihren elektrischen Eigenschaften zwischen Amp und Lautsprecher liegen. Feinzeichnung und Dynamik gewinnen, es sind noch mehr kleine Töne vorhanden als zuvor in der beweichten Version.

Und auch ein weiterer Aspekt darf nicht verschwiegen werden. Wer seine Lautsprecher für Filme und zum Musikhören nutzt,  entlastet seinen AVR durch die aktiven Mains. Beim reinen Hören wird die Signalquelle für Stereo auf höchstem Niveau direkt am Modul angeschlossen und umgeht so alle klangbeeinflussenden Bausteine des nicht mehr zwischengeschalteten  Receivers. Für die Lautstärkeregelung und Quellenwahl gibt es optional die Fernbedienung und alles ist gut.

Hypex-Aktiv hat viele Vorteile, ist flexibler und sogar kostengünstiger als passiv + angemessener Verstärkerpark. Dennoch ist das nicht der einzig wahre Weg zum Glück. Wichtig ist am Ende, dass uns gefällt, was wir hören, es uns emotional erreicht. Gern setze ich mich auf mein Sofa und lausche den wunderbaren Klängen, die meine aktive Lady mir liebevoll serviert. Doch manchmal lasse ich dann auch mal wieder meine Röhren glühen und lausche ganz entspannt den schönen Lügen, die sie meinem Ohr erzählt. Auch ein Transistor aus alter Fertigung, den sein Konstrukteur noch mit viel Wissen und Leidenschaft entworfen hat, lässt mich meine Klangwelt gelegentlich neu entdecken. Trotzdem bewerte ich das Hörerlebnis aus den unterschiedlichen Quellen nicht mit besser oder schlechter. Wenn ich mit geschlossenen Augen entspannt Musik genieße, seh ich eh nicht, wer sie mir beschert. Und so wird es nicht verwundern, dass es auch am Ende des Berichts kein eindeutiges “Kauf das, ich hab es auch und bin damit so zufrieden” aus meiner Feder gibt. Du hast die freie Wahl und sie ist in jedem Falle gut.

Udo Wohlgemuth

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Hallo!
könnte die Bel Air 92 auch mit einer Spule vor dem TT und dann einen 2-Kanal (FA-122) getrieben werden?
Danke für die Antwort

Hallo Udo,
ich habe mich schlecht ausgedrückt..

  • Ohne die FA mit den 6 Kanälen als Alternative z.B. den 2×2 minidsp mit einem 4-Kanal Amp oder zwei 2 Kanal Hypex nutzen.
  • Der Amp treibt im 1. Kanal beide TT, wobei der untere Bass noch eine Spule davor bekommt. Der dsp macht dann “über alles” und den Tiefpass für beide zusammen. Durch die Spule fällt der TT dan früher ab und das 2.5 System ist da. Mit der Wahl von Spule und dem Tiefpass überhaupt stellt sich dann die aktuelle Kurve für den unteren TT ein.

So meinte ich das – ob das so viel Geld spart sei eine andere Frage. Ich hatte schon 3 Kanäler gebaut die im MT/HT passiv gefiltert waren – das wäre so etwas analog aber im TT.
Gruß – Sebastian

Hallo Udo,
Heisst –> kann man machen ist dann aber ein neuer LS
Wenn man schon ein 2.5 System aufbaut, dann z.B. um im Bass “mehr” zu können was dann auch Verstärkerleistung benötigt. Das wäre dann ein möglicher Grund warum 2 Amp-Kanäle im Bass Vorteile haben würden – ist aber Fallentscheidung. Das Stichwort “Chassiskontrolle” durch direktere Anbindung an den Amp ist natürlich auch valide.
Danke für die Hilfe und schöne Ostertage
Sebastian

Da sind sie ja 🙂
Die 72 sieht echt gut aus. Die möchte ich 😀
Bezahlbares high end

Hallo zusammen. In der aktuellen wirtschaftlichen Situation ist es schon schwierig aus der Not eine Tugend zu machen. Udo hat es dennoch gemeistert, Hut ab. Stand jetzt nur 3 Kommentare hat der Artikel nicht verdient. Immerhin hat Udo in wenigen Tagen eine komplett neue Lautsprecherserie entwickelt und weil ihm langweilig ist und einige danach riefen, sogar noch aktiviert, Hut ab. Einige mögen sagen, dass ist sein Job und er kann es gut. Wenn ich im Gegensatz sehe wie lang es dauert bei weltbekannten Firmen einen Wert auf einer Zeichnung zu ändern, ist das nicht selbstverständlich.
Wenn ich mir die Frequenzverläufe ansehe ist die Inkubationszeit schneller vorbei als gewollt und der Selbstbauvirus bricht wieder durch und zeigt seine Symptome. Am Ende hällt mich nur meine vor Kurzem fertiggestellte Doppel7 ab und die Kiste mit elektronischen Bauteilen für die noch zu bauende Selbstbauendstufe. Ach manno…

Hochachtungsvoll, Matsche

P.S. Die Kombination aus schwarzem MDF und Multiplex gefällt mir immer besser. Zudem spart man sich die Anstriche und Schliffe.

Moin Matsche,

da hast Du recht. Es ist durchaus bemerkenswert, wie Udo trotz aller Widrigkeiten mit Zulieferern und Co. in diesen Zeiten eine komplett neue Serie mit allem Zip und Zap aus dem Boden zu stampfen geschafft hat. Und von weltbekannten Firmen will ich nix mehr hören, möchte ich bei einem sehr bekannten deutschen Elektronik-Konzern derzeit Teile kaufen, heißt es, Juli 2023, Liefertermin folgt oder such dir nen anderen Lieferanten. Die Wirtschaft hat fertig, sie weiß es nur noch nicht.

Bin neugierig, was noch alles Kommt in der BelAir Serie.

Und die MDF/MPX Kombi ist mittlerweile fast zu Udos Markenzeichen geworden. Ich weiß ja nicht, seit wann Du mitliest und seine alten Kreationen kennst, er sagt, er baut Lautsprecher, die gut klingen, für die Optik sind wir zuständig. Aber hat er irgendwann eingesehen, das Auge hört doch mit, gerade auch beim WAF. Ne hübsche Standbox ist da besser vermittelbar als ein Grobspan-Klotz und dem Satz “Schatz, ich bau dich dat schöner, versprochen!”

Gruß,
-Sparky

P.S. (FunFact) Eine mit der ersten Boxen, die er so “werksverkaufsfähig” gestaltet hat, seine original Chorus 51, ziert seit 4 Jahren meinen Schreibtisch.
Er hatte sie zu nem Event mit und ich meinte nur, pack se mir ein, nehm ich gleich mit 😀 Auch wenn der Klang das Wichtigste ist, ist Optik nicht zu unterschätzen um Menschen nen Anreiz zu geben.

Danke Udo für die aktivierungen !
Ich freu mich. …….
Jetzt fällt mir die Auswahl noch schwerer 😊
Gruss Adi

(Die Links zu Belair 71 aktiv und 72 aktiv zum Shop funktionieren nicht richtig)

Udo macht‘s einem nicht leicht…diesen Sommer muss ich unbedingt mal wieder auf die Couch.
Dr. Wohlgemuth wird‘s schon richten 😁
Ich möchte nächstes Jahr ein Projekt angehen. Bis dahin wird’s vermutlich noch schwieriger.

Last edited 2 Jahre her by Gipsohr
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